« Was den Gründerzeitstil so besonders macht »
Antike Möbel im Gründerstil sind geprägt von prunkvollen, eher überladenen und weitestgehend hochwertigen Elementen im Stil-Mix, die sich bis heute der Bewunderung von Sammlern und Liebhabern erfreuen. Gründerzeitmöbel spiegeln eine Zeit des Wohlstandes und Aufschwungs wider. Die Euphorie der Gesellschaft findet ihren Ursprung in den Geschehnissen der Zeit.
Ein Aufschwung im deutschen Kaiserreich
Die Gründerzeit ist geschichtlich im Deutschen Reich und in Österreich-Ungarn einzuordnen. Bezeichnet wird hiermit die Hochindustrialisierung im Kontext der Kultur und der Architektur, die sich zwischen 1870 und 1914 abgespielt hat. In dieser Phase wurde aus dem deutschen Kaiserreich, das sich durch agrarisch geprägtes Land auswies, ein moderner Industriestaat. In Österreich dauerte die Gründerzeit noch über das 19. Jahrhundert hinaus an.
Wirtschaftsgeschichtlich wird hiermit allerdings eine Phase im 19. Jahrhundert in Mitteleuropa bezeichnet, die mit dem sogenannten „Gründerkrach“ im Jahre 1873 endete.
Deutschland siegte im Deutsch-Französischen Krieg in den Jahren 1870/71, woraufhin der „Frieden von Frankfurt“ zwischen Frankreich und Deutschland 1871 geschlossen wurde. In diesem Rahmen verpflichtete sich Frankreich zu Reparationszahlungen, was Deutschland zu einem wirtschaftlichen Aufschwung verhalf. Hierdurch wurde der Kapitalmarkt liquidiert, was zu einer ausgelassenen Stimmung in Deutschland führte, die von dem Sieg über Frankreich nur noch verstärkt wurde. Neue Unternehmen entstanden und es wurde in den Wohnungsbau investiert.
Gründerzeitmöbel trotz großer Depressionen
Die Weltwirtschaft war in der Zeit hingegen von der großen Depression geprägt, die sich hauptsächlich 1873-1896 abspielte. Österreich hatte im Jahr 1866 eine Niederlage im Deutschen Krieg erlitten. Mit der Zeit regenerierte sich das Land und die Wirtschaft wuchs, der Fortschritt wurde bejubelt. Die Gesellschaft wurde in Anbetracht dieser Umstände sorgloser und weniger zurückhaltend, es entwickelte sich eine Spekulationsblase an der Wiener Börse. Wenige Monate vor der Weltausstellung im Jahr 1873 stiegen die Aktienkurse erheblich. Dies spiegelte sich ebenfalls in den Immobilienpreisen in Wien wider, die neue Höhen erreichten.
In Deutschland nutzte Bismarck die Reparationszahlungen Frankreichs zum großen Teil dafür, Staatsanleihen zu tilgen. Insbesondere Frankfurt, wo man sich auf Anleihen konzentriert hatte, verlor als Börsenplatz an Bedeutung. Private Investoren mussten nunmehr auf andere Anlageformen umsatteln. Deutsches Kapital gelangte so an die Wiener Börse und verstärkte dort den Aufschwung.
Ein Wechsel ereignete sich eine Woche nachdem die Weltausstellung ihre Pforten geöffnet hatte: Am „Schwarzen Freitag“, dem 09. Mai, sanken die Kurse an der Wiener Börse drastisch, sodass sie schließlich durch die Polizei geschlossen werden musste. Darauf folgte die Wirtschaftskrise, in der Kreditzinsen erheblich erhöht wurden, worunter 1873 verstärkt die Eisenbahngesellschaften litten. Die Industrie konnte nur noch wenig produzieren, was zu Gehaltskürzungen und Entlassungen führte. Der Wohlstand der Gesellschaft nahm ab, der Konsument konnte als Kaufkraft nicht mehr die Wirtschaft ankurbeln. Investitionen und Preise gingen zurück, es kam zur Deflation.
Auch Deutschland spürte die Auswirkungen des „Schwarzen Freitags“ in Form der Gründerkrise, die von 1873-1879 andauerte. Das Land erlitt allerdings weitaus geringere Schäden. Es folgte eine Stagnationskrise, die aber von den Zahlungen seitens Frankreichs abgefangen werden konnte. Deutschland konnte so noch immer einen Aufschwung verzeichnen.
Ab 1871 kam es in Deutschland zu vielen Gründungen von Unternehmen und Aktiengesellschaften. Die Produktion wurde angekurbelt und das Eisenbahnnetz ausgebaut. Die Reichsgründung machte die Bevölkerung euphorisch und die Aktiengeschäfte verliefen positiv. Mit der Zeit überstieg das Angebot die Nachfrage, was auch der Börseneinbruch im Jahr 1873 nicht ändern konnte.
Was hat das mit Möbeln zu tun?
Im Jahr 1850 konnte die Industrialisierung eine Hochzeit vermerken, Unternehmer profitierten und konnten Vermögen anhäufen. In der Gesellschaft konnte die Kultur voranschreiten, was unter anderem von dem Ausbau der Eisenbahnnetze begünstigt wurde. Durch die Eisenbahn konnten für kleines Geld eine Vielzahl von Waren weite Strecken transportiert werden. Die Gründerzeit prägte das Stadtbild, was bis heute in vielen Städten anhalten konnte. Die Architektur erstrahlte in imposantem Glanz, es wurde Wert gelegt auf die aufwendige Gestaltung von Häusern.
Auch die Inneneinrichtung spiegelte den Zeitgeist wider, die Gründerzeitmöbel wurden aus hochwertigen Materialien kunstvoll gestaltet. Die ersten größeren Manufakturen für Möbel konnten in Berlin entstehen, von wo aus das gesamte Land über die Eisenbahnnetze mit Möbeln versorgt wurde. Diese Gründerzeitmöbel wurden als „Berliner Schund“ bezeichnet und machten durch die flächendeckende Verfügbarkeit dem traditionellen Handwerk Konkurrenz. Doch Gründerzeitmöbel galten auch als modern und vor allem konträr zum Biedermeier.
Der technische Fortschritt
Mit der Erfindung der Abrichthobelmaschine im Jahre 1875 konnte Holz schließlich gänzlich mittels einer Maschine bearbeitet werden. Dies war ein bedeutender Fortschritt zu den vorhergehenden Jahren, in denen zwar Fräs-, Hobelmaschinen und Kreissägen existierten, aber aufgrund der Größe des Antriebssystems nicht in Betrieben eingesetzt werden konnten. Ab 1890 kamen Hobelmaschinen zum Einsatz, die zunächst mit Gasmotoren und im Anschluss mit Elektromotoren betrieben wurden.
Das klassische Tischlerhandwerk wurde ersetzt durch Fabriken für Möbel; so stellte etwa Gustav Kopka 1861 in Herford Küchen in Serie für kleines Geld her. In der Mitte des 19. Jahrhunderts begann man, Sperrholz herzustellen. Diese Kunst der alten Ägypter wurde mit der Zeit vergessen, konnte aber nun für den Bau der Gründerzeitmöbel und Flugzeuge eingesetzt werden. Mit dem allgemeinen Aufschwung in der Wirtschaft stieg die Zufriedenheit in der Gesellschaft und das neu entstandene Lebensgefühl wollte nach außen getragen werden – die Gründerzeitmöbel wurden geboren.
Der Gründerstil
Aufgrund der fortschreitenden Industrialisierung zogen immer mehr Menschen in die Stadt und der Bedarf nach Wohnraum wuchs. Neue Viertel mit bis zu sechsstöckigen Mehrfamilienhäusern wurden im Blockstil errichtet. Es zeigten sich verzierte Fassaden und Inspirationen des Neobarocks, der Neugotik und der Neorenaissance. Bürgerhäuser waren ausgezeichnet durch hohe Decken mit prunkvollen Stuckverzierungen, weite Räume und große Fenster.
Auch die Inneneinrichtung und Gründerzeitmöbel spiegelten den Wohlstand und den Prunk des Zeitalters wider. Die Holzmöbel wurden größer; aufgrund des nunmehr möglichen erhöhten Konsums waren vor allem ausgebaute Tische und Schränke mit geraden Linien, kantigen Designs und reichen Verzierungen zu finden. Kleinere Möbel im schlichten Stil blieben in der vergangenen Biedermeierzeit.
Eine Stilbeschreibung
Das Zentrum des Hauses bildete das Wohn- und Esszimmer. Es wurde großräumig gehalten und antike Möbel im Stil vergangener Zeiten eingebracht, was jedoch dazu führte, dass ein „bunter Mix“ entstand, der nicht notwendigerweise einen einheitlichen, harmonischen Stil verfolgte. Die verwendeten Möbel der Gründerzeit jedoch waren hochwertig, gut verarbeitet und prunkvoll. Erst später in Zeiten der fortgeschrittenen Industrialisierung wurden Holzmöbel hergestellt, die qualitativ ein Rückschritt waren. Weil sie deutschlandweit verkauft wurden, hatten sie keinen lokalen Bezug. Die Bereitstellung der Gründerzeitmöbel als Massenware konnte niedrige Preise gewährleisten, sodass auch einkommensschwache Haushalte versorgt wurden. Mit der Massenproduktion sanken die Ansprüche an die Handwerkskunst, es wurde nunmehr Wert auf eine schnelle Anfertigung und flächendeckende Bereitstellung gelegt.
Was gehört noch zur Gründerzeit
Weiterhin war die Inneneinrichtung von der Dekoration mit Porzellan geprägt. Kleine Figuren aus Vertikoporzellan wurden vor allem in den Wohnzimmern des Kleinbürgertums verteilt. Diese Deko der Gründerzeitmöbel stammten aus thüringischen und böhmischen Manufakturen und kamen als Engel, Soldaten, Heilige oder Reifrockfrauen.
Auch das Geschirr war mit bunten Farben und vielen Goldelementen verziert und wurde später gelegentlich als „protzig“ bezeichnet. Der heutige oft verwendete Begriff „Kitsch“ für derartiges Porzellan stammt selbst aus der Gründerzeit.
Um der Eintönigkeit der Biedermeierzeit weiter entgegen zu wirken, integrierte man edle Vertäfelungen in dunklen Farben, schwere Samtdecken und Ornamente in die Wohnräume.